Ab dem beginnenden 2. Jahrhundert wurde eine Selbsterlösungslehre im Römischen Reich immer bedeutsamer, die Gnosis. Scheinbar christlich fand sie damals in vielen Gemeinden Einzug und wurde manchmal auch neben den älteren Schriften gelesen. So unter anderem das Thomasevangelium, das Phillipusevangelium, das Evangelium der Wahrheit, das Apokryphon des Johannes, der Brief des Jakobus (nicht mit dem Jakobusbrief der Bibel verwechseln), die Sophia Jesu Christi... und viele mehr. Diesen Schriften ist gemein, dass sie von einer geheimen Offenbarung Jesu an die Jünger in der Zeit zwischen Auferstehung und Himmelfahrt berichten. Es tauchen auch vermehrt Schriften auf, die Maria Magdalena eine hervorragende Rolle als Superapostolin, gar als Ehefrau Jesu beinhalten. Allgemeinplätze des Neoplatonismus wurden ebenso verarbeitet (Gott ist zu unterscheiden von dem Demiurgen, einer untergeordneten Gottheit, die die Welt erschuf), wie ein neu erwachtes Interesse am frühen Jesus mit wundertätigen Episoden aus der Kindheit bedient wurde, wie zB mit der berühmten Episode aus dem Jakobusevangelium, wo Jesus zusammen mit Judas Iskarioth an einem Sabbath Tontäubchen bastelt. Jesu sind natürlich viel schöner und als der beleidigte Judas, die Tauben Jesu kaput machen will, klatscht Jesus in die Hände und sie fliegen davon. In einer anderen Version ohne Judas sind die Leute sauer wegen der Entweihung des Sabbaths und Jesus schafft durch dieses Wunder die Beweise beiseite. In ihren Texten versucht die Gnosis, die Lehre Jesu in geistreiche Spekulation aufzulösen. Gnostische Kindheitsgeschichten Jesu aus dem "Arabischen Kindheitsevangelium" tauchen zum Beispiel auch später im Koran auf.
Wie dem auch sei, wie konnte man diese neuen Schriften, die sich auf alte Geheimoffenbarung beriefen, und die auch bei vielen Christen gern gelesen wurden, vorgehen?. Es war Irenäus von Lyon, der als erster dagegen das sogenannte Traditionsprinzip stark machte. Tradition kommt vom lateinischen tradere = überliefern. Die Bibel bestand ja damals nur aus den Schriften, die wir heute als Altes Testament kennen. Irenäus war selbst noch Schüler des Polykarp von Smyrna, der wiederum Schüler des Apostels Johannes war. Er betont die Wichtigkeit der Überlieferung. Die Apostel haben den Bischöfen ihre Lehre übergeben und diese haben sie niedergeschrieben, damit sie nicht verloren gehe oder verfälscht werden könne. Diese inspirierten Texte (von Irenäus stammt der Ausdruck) wurden in der Kirche weitergegeben an die über die Bischöfe und Priester, damit diese sie unverfälscht bewahrten und weitergäben. Irenäus wörtlich, was katholische Tradition ist: Zu glauben ist das, was in allen katholischen Gemeinden unvermindert und unverändert seit der Zeit der Apostel als christliche Lehre von einer Generation an die andere weitergegeben wird... Wo die Kirche ist, da ist der Geist Gottes sagt Irenäus. Als einer der ersten Kirchenväter spricht Irenäus auch von der Vorrangstellung der römischen Kirche.
Diese neuen Sonderoffenbarungen waren nicht bei dem unvermindert und unverändert überliefertem Glaubensgut dabei, das später als das Neue Testament der Bibel zugerechnet werden sollte. Und das können sie auch nicht, weil es keine Geheimoffenbarungen Jesu gab. Das Argument ist in diesem Fall besonders stark, da sich ein Schüler des Evangelisten Johannes (Polykarp) wohl auch an die geheimen Texte erinnert hätte. Nur die Texte, die von der kirchlichen Leitung überliefert wurden, weil inspirierte Texte von weniger inspirierten durch inspirierte Bischöfe unterschieden worden sind, sind als Offenbarung Gottes zu werten. Irenäus zitiert aus allen Schriften des Neuen Testaments (außer Phil, 2 Petr, 3 Joh, Judas). Er zählt darüber hinaus auch noch den Hirt des Hermas und den 1. Clemensbrief zu den inspirierten Schriften (sie sind in der Bibel der äthiopischen Kirche enthalten). Die Inhalte anderen Schriften aber wären nicht überliefert (tradiert) worden. Es heißt nicht, dass sie wertlos seien. Sie haben aber nicht dasselbe Gewicht, wie die inspirierten Schriften, die das bleibende Gründungszeugnis Jesu und Seiner Kirche enthalten. So zeigt sich, dass auch die Bibel das Produkt der Tradition ist, wobei es nicht die Tradition von Menschen ist, sondern die Überlieferung dessen, was Gott uns in die Hände gelegt hat, das Wort Gottes. Darum nimmt die Bibel unter den anderen Traditionen der Kirche auch eine Sonderstellung ein. Die Bibel ist der bleibende Maßstab, an dem alles andere immer wieder gemessen werden muß, weil es eben auch eine Hierarchie der Traditionen gibt. Denn Tradition ist die Weitergabe des Feuers, nicht die Anbetung der Asche.
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