Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen, sondern von Menschen niedergeschrieben worden, die ihre Erfahrungen (gedeutete Geschichte) mit Gott in verschiedener literarischer Form festgehalten haben. Wie kann es nun sein, daß wir von einem Buch sagen, es enthalte das irrtumslose Wort Gottes für alle Zeiten und Generationen? Allein schon diese Aussage scheint ja mehr als vermessen. Worte können mißverstanden werden. Jede Sprache ist begrenzt. Je vieldeutiger sie ist, desto undifferenzierter und nichtssagender werden ihre Aussagen. Wie kann es trotzdem sein, daß Gottes Wort sich so unüberbietbar allein in der Bibel kundtut - in allen Sprachen, Kulturen und zu allen Zeiten? Wie kann es sein, daß keine Schrift vorher oder nachher mehr über Gott sagen kann (Gal 1,8; Apg 16, 26), selbst wenn sie sich auf Engel oder neue Erscheinungen und Offenbarungen berufen sollte?
Die Bibel ist eine Tradition (=Überlieferung) von Glaubenserfahrung. Die Bibel erzählt
von Menschen und ihren Wegen mit Gott in vielen verschiedenen literarischen Gattungen
(Rechtstexte, Fabeln, Gleichnisse, Kindheitsgeschichten...). Die frühsten dieser Erfahrungen
(Abraham, Isaak, Jakob, Josef) wurden ca ab 1800 v.C. gesammelt und über ca 800 Jahre mündlich
überliefert. Etwa um 1000 v.C. (König David) herum wurden die ersten Texte niedergeschrieben.
Dazu gehören vor allem Teile der fünf Bücher der Weisung (Thora alias fünf Bücher Mose alias
Pentateuch). Unter König Joschija (640-609 vC) gab es eine Reform, die den Kult auf Jerusalem
zentralisierte. Das geschah, weil man ein Buch fand (vermutlich die Urform des Buches
Deuteronomium) 2 Kö 22. Zur Zeit des babylonischen Exils und in Abgrenzung und
Auseinandersetzung mit der Kultur Babylons entstand das Heiligkeitsgesetz und die
Priesterschrift (zB erste Schöpfungserzählung). 398 vC mit der Verlesung des Gesetzes unter Esra
ist die Bearbeitung der fünf Bücher der Weisung abgeschlossen. Die Sadduzäer in Jerusalem
anerkannten zur Zeit Jesu nur diese fünf Schriften als Heilige Schrift. Die Pharisäer in und
außerhalb Jerusalems anerkannten zu dieser Zeit darüber hinaus auch die Propheten, Geschichts-
und Weisheitsbücher, also im wesentlichen den Kanon (Maßstab) der Septuaginta.
Die Texte wurden durch Abschreiben auf Rollen aus Papyrus oder Pergament vervielfältigt. Da
selbst das Material enorm teuer war, wollten die Synagogen in aller Welt später natürlich
wissen, welche Bücher abzuschreiben wirklich lohnte. Diese Frage erging an den Tempel in
Jerusalem. Man gab dort eine Liste abschreibenswerter Bücher heraus, die auch andere Buchtips
als die Bücher der Weisung enthielten. So einen Maßstab nennt man Kanon. (Randnote zum
materiellen Wert: Ein Blatt Pergament war die verarbeitete Bauchhaut eines Lammes.
Das Buch Kohelet zB kostete damals in etwa das, was ein Tagelöhner in vier Jahren verdiente.)
Außerhalb von Israel sprachen die Juden bald kein Hebräisch oder Aramäisch mehr. Deshalb wurden der Legende nach in ägyptischen Synagogen diese Schriften unter Ptolemäus von 70 Schreibern (LXX = Septuaginta = 70) im 3. Jhd vC ins Griechische übersetzt und siehe da, alle hatten denselben Wortlaut der Schrift. In den Synagogen außerhalb Palästinas wurde sie rund um das Mittelmeer verwendet. Diese griechische Bibelversion (die Septuaginta) war die Bibel, die die Apostel überall außerhalb Palästinas in Wort und Schrift verwendeten. Darum ist auch diese griechische Bibelversion die Bibel der Kirche in den ersten 400 Jahren geworden.
Um 110 nC - nach der Zerstörung Jerusalems und damit auch des Tempels und der dort herrschenden Sadduzäer (70 nC) - wurde in Jamnia auch in Abgrenzung zur jüdischen Sekte der Christen der Kanon der hebräischen Bibel festgelegt und hebräisch als Sprache liturgisch vorgeschrieben. Die Bücher, die zu deutlich auf Christus hinwiesen, und die zum Teil nur auf griechisch geschrieben waren, wurden von den pharisäischen Juden ausgeschlossen. Alle nichtpharisäischen Gruppen des Judentums (Essener, Sadduzäer, Christen, Zeloten...) wurden exkommuniziert (=ausgeschlossen), sofern die Römer sie nicht eh schon zwischen 66 und 74 platt (Jüdischer Krieg) gemacht hatten.